August 2003: 2500 Statistiker aus aller Welt trafen sich in Berlin zu ISI 2003

Gerhard König

Vorbemerkungen

Vom 13. bis 20. August fand im Internationalen Congress Centrum (ICC) in Berlin, auf Einladung der Bundesregierung und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, der 54. Weltkongress des Internationalen Statistischen Instituts (ISI) statt.

Das Internationale Statistische Institut (ISI) ist eine der ältesten wissenschaftlichen Vereinigungen der Welt. In fünf fachlich spezialisierten Sektionen vereinigt das ISI weltweit die Fachkompetenz in den Bereichen mathematisch-statistische Methoden, Erhebungsverfahren, Informationstechnik, amtliche Statistik und Ausbildung. 5000 Statistiker und Wissenschaftler sind in ISI zusammengeschlossen. Das wichtigste Forum des ISI, welches seinen Sitz im niederländischen Voorburg hat, ist der in zweijährigem Abstand stattfindende Weltkongress. Nach den Kongressen in Helsinki (1999) und Seoul (2001) war zum Kongress 2003 Berlin Gastgeber. Fast 2 500 Statistiker aus vielen Bereichen der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft und der amtlichen Statistik aus 110 Ländern nahmen teil. Der Kongress 2003 war als Standortbestimmung der Statistik im Lichte der gravierenden globalen technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderung von besonderer Bedeutung. Nach Berlin, das genau vor 100 Jahren schon einmal Gastgeber des ISI-Kongresses war, wird im Jahr 2005 das australische Sydney den ISI-Kongress ausrichten.

In rund 200 wissenschaftlichen Veranstaltungen mit ca. 1000 Vorträgen wurden beim ISI-Weltkongress 2003 statistische Methoden und Verfahren sowie deren Anwendung in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft präsentiert und diskutiert.

Schwerpunkte waren die mathematische Statistik, die computergestützte Statistik, die amtliche Statistik und die statistische Erhebung sowie die Statistik im Bank- und Finanzbereich. Dazu kamen Themen zu Bildung und Lehre im Bereich der Statistik wie etwa „Internationale Zusammenarbeit in der Forschung zur statistischen Bildung“, zu „Ethischen Fragen bei Umfragen und wie sie unsere Gesellschaft beeinflussen“ und einige historische Themen.

Für mathematische Themen stehen meetings wie etwa „Statistische Methoden für die Verarbeitung hochdimensionaler Daten“ oder „Räumliche und zeitliche Modellierung durch residuale Maximum Likelihood“. Anwendungsbezogene Themen sind etwa „Public Health in Entwicklungsländern – statistische Probleme und Studien“ oder „Einsatz der Statistik bei der Entwicklung der Geldpolitik“.

Detaillierte Informationen zu allen Veranstaltungen und zum Kongressprogramm finden Sie im Internet unter www.isi2003.de.

Statistik und Lehrer

Statistik ist vor allem ein unverzichtbares Instrument zur gesellschaftlichen Information und zur Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft und für die Bürger selbst. Statistische Daten stellen eine wichtige Grundlage dar, um Probleme zu analysieren und darauf aufbauend fundierte Lösungen zu entwickeln. Statistiken geben uns dann auch Aufschluss darüber, ob die getroffenen Entscheidungen wirklich eine Lösung der Probleme bewirkt haben oder nicht.

Dazu ein Wunsch der Statistiker an Lehrer, Journalisten und andere: Angesichts der Bedeutung der Statistik im Alltag hoffen und wünschen die Statistiker, dass sie durch Ihre Art der statistikbezogenen Berichterstattung und Darstellung dazu beitragen können, das zahlenmäßige bzw. statistische Verständnis der Öffentlichkeit zu verbessern. Eben so wie die Fähigkeit zu lesen und Texte zu verstehen für jeden Bürger von höchster Bedeutung im Leben ist, so ist es von ähnlich hoher Bedeutung, Daten und Zahlen zu verstehen. Für den Lehrer ergibt sich die Aufgabenstellung: Die z.B. „komplexen“ statistischen Ergebnisse klar und verständlich zu formulieren und ihre Bedeutung für den Alltag der Menschen zu erläutern.

Um die interessierte Öffentlichkeit an Statistiken heranzuführen, haben statistische Ämter vieler Staaten Ihre Statistiken freigegeben und mit erläuternden Kommentierungen im Internet angeboten. Wegbereiter waren hier Kanada, wo z.B. für Schulen eine Statistics Canada’s Learning Site konzipiert wurde (http://www.statcan.ca/english/edu/index.htm) oder Australien (www.abs.gov.au). Im Jahr 2003 zog Deutschland nach.

Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder haben mit dem Gemeinsamen Neuen Statistischen Informations-System (GENESIS, http://www.destatis.de/) neue Auskunftsdatenbanken aufgebaut, um das breit gefächerte Datenangebot der amtlichen Statistik in komfortabler Weise über das Internet zu erschließen. Derzeit gibt es zwei verschiedene Genesis-Datenbanken mit Statistik-Resultaten für

Die GENESIS-Datenbanken bieten Recherchezugänge in Form einer Stichwort-Suche oder hierarchisch über Sachgebiete. Dazu gibt es variabel gestaltbare Tabellen, d.h. für bestimmte Tabellenpositionen können Merkmale ausgewählt und ein Abruf gestartet werden. Mit Hilfe einer schnellen Vorschau-Funktion lässt sich zuvor ein Eindruck davon verschaffen, welches Aussehen und welchen Umfang der Abruf einer Tabelle hat. Die Ergebnisse werden nicht nur als HTML-Tabellen angezeigt, sondern es ist wahlweise ein Download im Excel-, CSV- und HTML-Format möglich. Ergänzend werden umfangreiche Hintergrund- und Zusatzinformationen angeboten. Statistiken, Merkmale und deren Ausprägungen werden ausführlich beschrieben und können so besser interpretiert werden.

Der Zugang zu GENESIS-Online ist kostenlos. Wenn Sie den vollen Umfang von GENESIS-Online nutzen möchten, ist eine Registrierung erforderlich.

Aktuelle Themen der Statistik

Ich möchte einige Themen in der Statistik erwähnen, die derzeit offenbar von großer Bedeutung sind.

Zur Rolle von Bevölkerungsstatistiken

In den meisten Fällen berichten Statistiker über Dinge, die bereits Realität sind, wie z.B. die Zahlungsbilanz des vergangenen Jahres; demographische Entwicklungen bilden hier jedoch eine Ausnahme. Bei Bevölkerungsstatistiken steht nicht allein die Bestandaufnahme von Bevölkerungszahl und –struktur im Vordergrund. Vielmehr liefern Projektionen in die Zukunft, die so genannten Bevölkerungsvorausberechnungen, wichtige Basisinformationen, die für zukunftsgerichtete Entscheidungen in nahezu allen Politikbereichen unerlässlich sind. Dabei legen Bevölkerungsprojektionen all die Probleme und Handlungsfelder offen, für die bereits in der Gegenwart Lösungen gefunden werden müssen, denn bevölkerungsrelevante Prozesse vollziehen sich langsam und Änderungen in den wesentlichen Komponenten der Bevölkerungsentwicklung, z.B. die Erhöhung der Geburtenhäufigkeit, wirken sich auf die Bevölkerungssituation in der Regel erst nach vielen Jahrzehnten aus.

So zeigen die Ergebnisse der jüngsten Bevölkerungsprojektion für Deutschland, dass die Bevölkerung bis zum Jahr 2050 stark abnehmen und gleichzeitig altern wird. Danach sinkt die Bevölkerungszahl in Deutschland von derzeit rund 82,5 Mill. Einwohnern bis zum Jahr 2050 auf das Niveau von 1963 mit gut 75 Mill. Menschen ab; s. http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2003/p2300022.htm, oder http://www.innovations-report.de/html/berichte/statistiken/bericht-19041.html

Die Privatsphäre

Wie gut ist die Öffentlichkeit dagegen geschützt, dass die verschiedensten Institutionen Daten über eben diese Öffentlichkeit sammeln, und zwar für Zwecke, die dem Einzelnen nicht bekannt sind? Deutschland hat seit 1945 eine ausgeprägte Tradition des Schutzes der Öffentlichkeit gegen diese Form der Datensammlung und –zusammenführung entwickelt. Hingegen ist es in einigen anderen europäischen Ländern, wie z.B. in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden, den nationalen statistischen Ämtern erlaubt, personenbezogene Daten zu kombinieren und zusammenführen, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen stammen, wie z.B. von Institutionen, die Daten über Einkommen, Steuern, Beschäftigung, Krankenversicherung, Rentenversicherung usw. erheben, wobei die Gesamtheit dieser Daten ein umfassenderes Bild über jeden Bürger des betreffenden Landes liefert als es mit einem beliebigen Fragenbogen jemals möglich wäre. Solche registergestützten Statistiken machen eine Volkszählung völlig überflüssig. Auch in Deutschland gibt es zur Zeit Bemühungen, das System der amtlichen Statistik zu flexibilisieren. Doch wie steht es mit dem Recht des Einzelnen auf seine Privatsphäre? Diese wird durch ein Gesetz gewährleistet, das dem statistischen Amt untersagt, Daten über eine einzelne Person oder ein einzelnes Unternehmen zu veröffentlichen. Daten dürfen nur in aggregierter Form dargestellt werden, die eine Identifizierung des Einzelnen unmöglich macht.

Preisvergleiche

Im Invited Paper Meeting „ Die Anwendung hedonischer Methoden für die Berechnung von qualitätsangepassten Preisen“ geht es um ein Problem, das nicht nur im Bank- und Finanzbereich, sondern ganz allgemein in der amtlichen Statistik besteht: Zur Fortschreibung von Preisindizes, wie etwa dem Verbraucherpreisindex, werden regelmäßig die Preise der in einem Warenkorb enthalten Güter (zu den „Gütern“ gehören natürlich nicht nur Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände, sondern auch Wohnen, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Reisen, Bildung, Dienstleistungen,...) erhoben, die Ausgaben für diesen Warenkorb errechnet und mit denjenigen desselben Warenkorbs etwa ein Jahr vorher verglichen. Die damit quantifizierte Preisentwicklung ist eine wichtige Grundlage der geldpolitischen Entscheidungen der EZB und der Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg der Geldpolitik. Problematisch an dieser Art der Preismessung ist jedoch, dass sie dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem vergleichen“ folgen muss und beispielsweise eine gleichbleibende Qualität bei den einbezogenen Gütern voraussetzt, was in einer dynamischen Wirtschaft bei vielen Gütern praktisch jedoch kaum gewährleistet ist. Der hedonische Ansatz läuft nun darauf hinaus, den Einfluss variierender Qualitätsmerkmale auf die Preis von "reinen“ oder "echten“ Preisänderungen zu trennen. Ist z.B. der Preis eines in den privaten Haushalten üblichen PCs konstant geblieben, die Festplatte jedoch größer geworden und ein CD-Laufwerk hinzukommen, so wird abgeschätzt, um wie viel der Preis eines solches PCs nach Ausschaltung der "Qualitätsänderung“ gesunken wäre. Es leuchtet ein, dass eine solche "Qualitätsadjustierung“ der Preisentwicklung bei technischen Produkten einfacher ist als etwa bei Textilien, Lebensmittel oder gar Dienstleistungen. Dass auch der hedonische Ansatz seine Probleme und Grenzen hat und welche Lösungswege sich anbieten, darum geht es in dem Invited Meeting.

In den USA wird die hedonische Preismessung bereits bei relativ vielen Gütern eingesetzt, während die – recht aufwendige – Methode in Europa noch wenig verbreitet ist. In Deutschland kommt die hedonische Preismessung seit Mitte letzten Jahres bei Personalcomputern und seit Mai diesen Jahres bei Gebrauchtwagen zur Anwendung. Beim hedonischen Teilindex für Gebrauchtwagen werden bei der Qualitätsbereinigung neben dem Fahrzeugalter und der Kilometerleistung zum Beispiel die ehemaligen Neupreise der Fahrzeuge berücksichtigt. Hierdurch ist gewährleistet, dass die für die Preismessung herangezogenen Gebrauchtwagen vergleichbar sind. Weitere Informationen zur Methodik des hedonischen Gebrauchtwagenindex sind unter www.destatis.de/themen/d/thm_preise.htm abrufbar. Für weitere Güter ist der Einsatz hedonischer Methoden geplant. Informationen zur Verwendung hedonischer Methoden im Statistischen Bundesamt sind unter obiger URL abrufbar

Steigende Arbeitslosigkeit in den USA und Deutschland: Internationale Vergleichbarkeit gewinnt an Bedeutung

Die Statistik der Erwerbslosigkeit und deren internationale Vergleichbarkeit gewinnt angesichts der zur Zeit angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt und geringen wirtschaftlichen Dynamik in den Industrieländern zunehmend an Bedeutung. So stieg die international vergleichbare Erwerbslosenquote in Deutschland von 7,8% im Jahr 2000 auf 8,2% im Jahr 2002 und die Erwerbslosigkeit in den USA im gleichen Zeitraum von 4% auf 5,8%. Der Abstand zwischen den Arbeitslosenquoten in beiden Staaten hat sich in den letzten 6 Jahren auf 2,4 Prozentpunkte verringert.

Auf dem 54. ISI-Weltkongress in Berlin war die statistische Erfassung der Erwerbslosigkeit ein wichtiges Thema. In einer Reihe von Fachbeiträgen werden die dabei in verschiedenen Ländern angewandten Methoden vorgestellt. So berichten Anne Polivka und Clyde Tucker vom Bureau of Labor Statistics der Vereinigten Staaten von Amerika (dem dortigen nationalen Amt für Arbeitsmarktstatistik) in der Sitzung "Survey of special populations", wie die Erwerbslosenzahlen in den USA ermittelt werden: Um die für Wirtschaftsanalysen so wesentliche Entwicklung der Zahl der Erwerbslosen jeden Monat zu verfolgen, werden in den USA monatlich Informationen zum Erwerbsstatus, d.h. zur Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosigkeit, von rund 110 000 Personen im erwerbsfähigen Alter erhoben. Dabei zeigt die gesammelte Erfahrung vieler Jahre, dass Struktur des Fragebogens, Anordnung und Reihenfolge der Fragen sowie der Kontext, in dem Fragen gestellt werden, die statistischen Ergebnisse zur Arbeitslosigkeit beeinflussen können. Zuverlässige Ergebnisse, wie sie in den USA seit 1945 ermittelt und allgemein akzeptiert werden, hängen dabei entscheidend von der wiederholten Befragung der selben Personen im Zeitverlauf ab.

Wie zukünftig für Deutschland mit den USA und einzelnen Mitgliedstaaten der EU vergleichbare Erwerbslosenzahlen bereitgestellt werden könnten, zeigten Rudolf Janke und Thomas Riede vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden in der Sitzung "Survey methodology II“

In Deutschland wird seit April diesen Jahres eine Telefonerhebung zur Erwerbslosigkeit erprobt, um künftig international vergleichbare Erwerbslosenzahlen parallel zur Zahl der registrierten Arbeitslosen der Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitsmarktbeobachtung bereitstellen zu können. Dabei werden als Erwerbslose – wie in den USA und international üblich – nur Personen erfaßt, die in der Beobachtungswoche ohne jegliche Beschäftigung waren, sich in den letzten vier Wochen aktiv um eine Arbeit bemüht haben und eine neue Stelle in den nächsten zwei Wochen antreten können. Mit diesem – in der amtlichen Statistik Deutschlands neuen – Erhebungsverfahren wird sich, nach Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen, in Deutschland mit gleicher Aktualität und vergleichbarer Methode wie in den USA die Zahl der arbeitslosen Arbeitssuchenden als der entscheidende Indikator für die Beschäftigungspolitik nachweisen lassen. Fachleuten ist schon jetzt klar, dass diese international vergleichbare Erwerbslosenzahl um mehrere hunderttausend, das wären rund 20 Prozent, unter der Zahl der von den Arbeitsämtern registrierten Arbeitslosen liegen dürfte.

In der Publikation "German Labour Market Trends", die anlässlich des ISI-Weltkongresses vom Statistischen Bundesamt herausgegeben wurde, sind weitere wichtige Aspekte des Internationalen Vergleichs von aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt anschaulich zusammengefasst.
http://www.destatis.de/download/e/veroe/labourmtrends.pdf oder auch nur über die Internetseite www.destatis.de.


Satellitentagung: Statistics education and the Internet.

Diese Vorkonferenz des Statistischen Weltkongresses fand vom 11. – 12. August am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin statt. Die Teilnehmer aus 23 Ländern diskutierten über Fragen wie "Welche Auswirkungen hat das Internet für das Lehren und Lernen von Stochastik?“, "Welche Chancen bieten neue Kommunikationstechnologien für die Unterstützung von Lernprozessen im Bereich Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik?“, "Welche Rolle spielen elektronische Medien für die Didaktik der Stochastik?“, "Welche Bedeutung haben Online Education, Internet-Learning, E-Learning, virtuelle Bildung für die Stochastik?“

Ausführliche Informationen einschließlich einer schriftlichen Fassung aller Vorträge (in englisch) der Tagung in Form von Conference proceedings sind im Internet verfügbar unter www.ph-ludwigsburg.de/iase/proceedings. Dort befinden sich auch viele weitere Verweise und Internet-Links zum Lehren von Statistik.